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Blind einkaufen: „Kunden sollten sich trauen, auch alleine zu shoppen“


An der nächsten Ampel links abbiegen. Die vertraute Stimme aus dem Navi leitet orientierungslose Autofahrer durch fremde Straßen. Blinde Menschen haben es dagegen schwerer, wenn sie sich in ihrer Umgebung nicht zurechtfinden. Ein Berliner Einkaufszentrum bietet blinden und sehbehinderten Kunden nun zumindest beim Shoppen Hilfe an – mit einem Blindenleitsystem.

Oliver Hanna, Leiter des Shoppingcenters ALEXA in Berlin, berichtet über das Laufen im Kreis, mangelndes Vertrauen und kritische Kunden.

Herr Hanna, nehmen wir an, ich wäre blind und würde gerne in Ihrem Einkaufszentrum shoppen gehen. Wie könnten Sie mir dabei helfen?

Zu allererst empfehle ich Ihnen, sich an unserer Information im Erdgeschoss zu melden. Dort können Sie sich unser Blindenleitsystem aushändigen und die genaue Handhabung erklären lassen. Sie bekommen dann einen MP3-Player mit einer Audio-Datei und taktile Pläne ausgehändigt.

Und was mache ich dann damit?

Der taktile Plan ist eine Art Grundriss der einzelnen Einkaufs-Ebenen in Braille-Schrift. Für jede der vier Ebenen gibt es jeweils einen Plan. Er dient zur groben Orientierung. Dann setzen Sie sich den Kopfhörer auf und starten das Programm. Sie werden nun Informationen wie „Sie befinden sich auf der ersten Etage an der Information“ oder „In 50 Metern erreichen Sie H&M“ hören.

Ich werde also metergenau zu meinem Ziel gelotst?

Richtig. Alle Anweisungen erfolgen in Meter- oder Schrittangaben, weil blinde Menschen Entfernungen viel besser abschätzen können als Sehende. Das besprochene Tonband führt die Kunden auf einer vorgeschriebenen Route an jedem Laden vorbei. Das funktioniert deswegen so gut, weil die einzelnen Geschäfte auf jeder Ebene kreisförmig angeordnet sind. Der beschriebene Weg startet an der Information und endet dort auch wieder.

Und was ist, wenn ich in einen Laden gehen oder in die zweite Etage wechseln möchte?

Wenn Sie in ein Geschäft gehen, dann stoppen Sie einfach das Tonband. Wenn Sie Ihren Einkauf beendet haben und weiter gehen wollen, dann starten Sie das Tonband wieder. Kommen Sie zum Ende einer Ebene, werden Sie darauf aufmerksam gemacht, dass Sie nun Möglichkeit haben, die Etage zu wechseln. Über Ihren Kopfhörer hören Sie im Erdgeschoss dann etwa folgende Anweisung: „Bitte nehmen Sie die Rolltreppe an der Information, um ins erste Obergeschoss zu gelangen“.

 
 


Erinnern Sie sich noch an den ersten Kunden, der das Gebäude auf diese Weise entdeckt hat?

Ja, das erste Mal hat ein Paar, etwa Ende 20, das System ausprobiert. Sie war blind und er stark sehbehindert. Nach der Einweisung kamen sie auch gleich gut damit zurecht und waren ganz begeistert. Leider haben im vergangenen Jahr noch nicht viele Kunden unser Angebot genutzt, um genau zu sein erst fünf oder sechs.

Wie erklären Sie sich die verhaltene Reaktion?

Blinde haben einfach ihre speziellen Gewohnheiten beim Einkaufen: Wenn sie shoppen gehen, dann in Begleitung eines vertrauten Menschen. Jüngere Frauen, Mitte 20, sind zwar etwas experimentierfreudiger und trauen sich auch einmal alleine ins Shoppingcenter. Doch spätestens beim Kauf von Kleidung wird es schwierig. Da stellen sich dann schnell Fragen wie: „Steht mir die Farbe?“ oder „Sitzt die Hose gut?“. Dann verlassen sich blinde Menschen eher auf eine gute Freundin als etwa auf Verkaufspersonal.

Wie wollen Sie das Misstrauen der Kunden abbauen?

Wir bieten mit unserem Leitsystem nicht nur die technischen Voraussetzungen für ein barrierefreies Einkaufen, sondern zusätzlich auch personelle. Alle Mitarbeiter in den einzelnen Läden werden von uns auf den Umgang mit blinden und sehbehinderten Kunden vorbereitet. Sie erhalten Informationen, wie sie an einen blinden Kunden herantreten oder ihm die Ware beschreiben sollen. Es ist sicher schwierig, das Vertrauen zum Personal herzustellen. Da können wir auch nichts erzwingen. Aber unsere Mitarbeiter sind zumindest gut vorbereitet und werden nicht überfordert reagieren. Deswegen sollten blinde Kunden mutiger sein und sich viel mehr trauen, auch alleine zu shoppen.

Um solch ein Vertrauen aufzubauen, benötigt man auch gewisse Sicherheiten. Wie gewährleisten Sie, dass Ihr System blinde Kunden auch sicher durch das Gebäude führt?

Wir werden demnächst ein Feintuning durchführen: Wir als Sehende lassen uns mit geschlossenen Augen vom System von Laden zu Laden führen. So können wir prüfen, wie gut die Anweisungen wirklich sind und ob wir eventuelle Stolperfallen übersehen haben. So einen Fall gab es übrigens ganz zu Anfang schon: Es ging um einen Aufsteller vor einem Geschäft, der einem Kunden unerwartet im Weg stand. Die Audio-Datei hatte nicht auf dieses Hindernis hingewiesen. Der Kunde hat uns dann aber freundlicherweise darauf aufmerksam gemacht. Und wir haben prompt reagiert und das Tonband neu besprechen lassen. Wir sind wirklich jederzeit offen und dankbar für Verbesserungsvorschläge.

Interview: Nadine Lormis, Erstveröffentlichung REHACARE.de

01.01.2012

 
 

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