Interview mit Michael Reuter, Geschäftsführer Polygon, Obertshausen
Das Aussehen von digitalen Infoterminals könnte der Handel gut als Alleinstellungsmerkmal nutzen, meint Polygon-Geschäftsführer Michael Reuter. Häufiger als komplette Neuentwicklungen verkauft er jedoch Standardmodelle, die auf vielfältige Weise abgewandelt werden. Viele Materialien sind möglich, wegen seiner Langlebigkeit ist Stahl jedoch besonders gefragt. Reuter beklagt, dass Händler heute oftmals das Design von Apple nachahmen.
Edelstahl gebürstet, Stele leicht gebogen, Touchscreen – fertig. Will der Handel den Einheitslook?
Die meisten Kunden wollen eigentlich lieber eine individuelle Lösung. Da diese aber naturgemäß immer noch neu entwickelt werden muss, entsteht vorab ein zeitlicher und finanzieller Aufwand. Dies führt dazu, dass viele Kunden notgedrungen zur Lösung „von der Stange“ greifen. Wir bei Polygon haben eine starke Design- und Entwicklungsabteilung im Haus und sind so in der Lage, sehr effizient adäquate Konzepte und Lösungen zu entwickeln. Geringen Aufwand erzeugen produktgrafische Änderungen von Standardgehäusen über Oberflächen, Farben und Grafiken. Kundenindividuelle Formänderungen sind etwas aufwendiger. Komplette Neuentwicklungen verursachen den größten Aufwand, bieten aber auch beste Chancen für einen individuellen Auftritt. Und sie können durch den genau auf die spezielle Anwendung abgestimmten Aufbau günstiger sein als die Off the Shelf-Lösung. Habe ich schon erwähnt, dass wir bereits über 100 kundenindividuelle Entwicklungen durchgeführt haben und damit Marktführer sind?
Seit 1993 wurden bei Polygon mehr als 7.000 Terminals produziert. Welche Projekte waren besondere Marksteine?
1993 gestalteten wir unser erstes interaktives Terminal „Exposer“. Dieses Einzelstück wurde auf einer Messe gezeigt. Danach bekamen wir sehr viele Anfragen. So entstand in unserer Design- und Entwicklungsfirma der Bereich Terminalsysteme.
1998 realisierten wir für die Weltausstellung in Lissabon 80 kundenindividuelle Outdoor-Infoterminals. Hier waren neben einem ungewöhnlichen Design auch neue technische Herausforderungen zu bewältigen. Wir setzten erstmalig erfolgreich Klimaaggregate ein.
1999 wurden wir von Höft & Wessel beauftragt, das neue Check-in-Terminal für die Lufthansa zu entwickeln. Das war unser erstes, in größeren Stückzahlen hergestellte, kundenspezifische Terminal.
2000 realisierten wir anlässlich der Eröffnung der Autostadt des VW-Konzerns Infoterminals, die sich selbst aktiv bewegten und zum Teil im Außenbereich zum Einsatz kamen – ein Projekt, bei dem wir erstmalig auch die Wartung machten.
2005 startete das Projekt „Servicepunkt" für dm Drogeriemärkte. Bis heute haben wir bei dm über 2.000 Systeme im Einsatz. Seit Anfang des Jahres wird nach und nach die zweite Generation ausgerollt. 2008 setzten wir erstmalig 82 Zoll TFT-Monitore für eine interaktive Signage-Stele ein. Begonnen hatte alles mit 10,5 Zoll.
Ob blond oder blau - Standardterminals bieten preisgünstige Lösungen. © Polygon
Wie hat sich das Design im Laufe der knapp 20 Jahre gewandelt?
Zu Beginn arbeiteten wir mit Röhrenmonitoren, die fast so tief wie ein Kühlschrank waren – bei 13 Zoll Bilddiagonale. Die Rechner standen dem in nichts nach, und so ging es vorrangig darum, das Volumen optisch zu reduzieren. Heute ist die Herausforderung eher, bei großen Bildschirmdiagonalen Terminals so zu gestalten, dass sie nicht als zu mächtige Barriere empfunden werden.
Was sind die aktuellen Design-Trends bei Terminals?
Fragt man die Zuständigen im Handel, wird seit drei Jahren überwiegend das aktuelle Apple-Design als großes Vorbild genannt. Das geht soweit, dass zum Teil sogar iPads mit Zusatzadaptern als kleine Infoterminals eingesetzt werden. Neben den technischen Problemen, die entstehen, wenn man Konsumgüter als öffentliche Systeme einsetzt, entsteht eine Uniformität, die dem Wunsch nach Individualität entgegen wirkt.
Apple hat eine überragende Designstrategie, die sich seit einigen Jahren durch sehr reduzierte Formen und edle Oberflächen auszeichnet. Sie lehnt sich damit unter anderem an die Ulmer Schule und die Designs der Firma Braun aus den siebziger Jahren an. Je mehr Konkurrenten das kopieren, desto weniger taugt es als Alleinstellungsmerkmal, und es entsteht insgesamt eine gewisse Verarmung.
Apples Konkurrenten im Mobiltelefonmarkt lösen sich inzwischen zumindest teilweise wieder von reinen "me too"-Strategien zu eigenständigen Designs. Auch wir arbeiten daran, mit unseren Kunden stimmige alternative Designkonzepte zu entwickeln. Ich hoffe jedenfalls, dass in Zukunft bei Terminals die Quader mit Eckradien wieder etwas Konkurrenz durch kristalline, amorphe, additive, florale oder anderweitig eigenständige Designs bekommen, und uns nicht mehr überall iPod Klone in allen möglichen Größen angrinsen.
Welche Materialien bevorzugen Sie bei Ihren Terminals. Was spricht für diese Auswahl?
Wir sind in Entwicklung und Herstellung nicht an bestimmte Materialien gebunden und setzen sowohl Kunststoffe als auch verschiedene Metalle und technische Holzwerkstoffe ein. Das hängt von Faktoren wie Stückzahl, Einsatzort, Design etc. ab. Jedes Projekt ist anders, und wir entwickeln auf Basis des jeweiligen Anforderungsgefüges die beste Lösung. Die überwiegende Zahl unserer Terminals ist in Stahl gefertigt. Für diesen Werkstoff sprechen neben der hohen Fertigungspräzision auch die vielfältigen Verarbeitungsmöglichkeiten und die mechanische Haltbarkeit. Manche unserer Produkte sind seit über zehn Jahren im Einsatz und im Lauf der Jahre schon zweimal vor Ort mit neuer Hardware ausgestattet worden. Diese Philosophie der Nachhaltigkeit im konstruktiven Aufbau der Gehäuse können wir mit Stahl hervorragend umsetzen.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: Welchen Ort / welchen Store würden Sie gern mit Terminals ausstatten? Warum? Welche Terminals würden Sie entwerfen?
Uns interessieren vor allem Anwendungen, wo neben der medialen Interaktion auch der Umgang mit physisch realen Dingen stattfindet. Dies trifft insbesondere auf Self-Checkout-Systeme zu. Hier konnten wir in letzter Zeit interessante Projekte in die Pilotphase bringen. Das Thema steckt in Deutschland immer noch in den Kinderschuhen, was es für uns umso interessanter macht. Wir freuen uns auf neue An- und Herausforderungen und die sicher noch spannende weitere Entwicklung der Technologien.
Wie hoch ist die Vandalismus-Quote im Innen- und im Außenbereich?
Nach den uns vorliegenden Zahlen sind die Schäden extrem gering, was sicher auch an der hervorragenden Qualität unserer Produkte liegt. Abgesehen davon, haben wir keine Hinweise darauf, dass Nutzer oder Passanten in messbaren Häufigkeiten Terminals mutwillig beschädigen
Die EuroCIS ist einige Monate vorbei. Was war Ihr Messehighlight?
Wir hatten den Nachfolger unseres meistverkauften Terminals „CheckPOInt“ vorgestellt. Das Design kam sehr gut an, übrigens zwar eine schlichte, aber keine reine Quaderform. Unter den diversen technischen Features fand besonders unser Eigenprodukt einer Papiertransporteinheit mit optionaler Dokumentenvernichtung Beachtung. Diese kann überall dort eingesetzt werden, wo Datenschutz eine Rolle spielt. Vom Nutzer nicht entnommene Ausdrucke werden entsprechend strenger Sicherheitsnormen unlesbar gemacht.
Welche konkreten Abschlüsse konnten Sie durch die Messe erreichen?
Wir sehen Messeauftritte vorrangig nicht als direkte Verkaufsveranstaltungen, sondern als Gelegenheit unsern Kunden und Partnern neue Entwicklungen vorzustellen. Überrascht hat uns das große Interesse an sogenannten HR-Lösungen, also Terminals, an denen diejenigen Mitarbeiter, die keinen Zugang zu einem Firmen-PC haben, ihre Urlaubsplanung und Gehaltsabrechnungen abstimmen können. Hier kommt unsere Papiereinheit wie gerufen.
Interview: René Schellbach, EuroCIS.com
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