Customer Centricity ebnet neue Wege für den Autohandel

von Julia Pott

In der Automobilindustrie bewegt sich viel, nicht nur bei der Entwicklung der Antriebe. Auch der klassische Autohandel wird in Höchstgeschwindigkeit von neuen Marketingkonzepten überholt. Händler und Marken, besonders im Bereich der Elektromobilität, bringen innovative Konzepte auf den Weg. Die Scheinwerfer sind dabei voll auf die Bedürfnisse der Kundschaft gerichtet.

Die Elektroautomarke NIO mit Sitz in Shanghai besticht durch eine Innovation: Der Akku des E-Autos kann an dafür vorgesehenen Stationen ausgetauscht werden – leerer Akku raus, voller Akku rein. Der Tausch dauert nur wenige Minuten, so müssen Fahrerinnen und Fahrer bei längeren Strecken keine langen Ladepausen machen. Das Netz dieser Power Swap Stations ist allerdings noch im Aufbau.

Der Akkutausch ist aber nicht die einzige Idee, mit der die Marke aus Shanghai den Automarkt revolutionieren will. Sie bemüht sich auch den traditionellen Autoverkauf auf den Kopf zu stellen. Und zwar, indem sie eben diesen Verkauf hintenanstellt und stattdessen auf eine eigene Fangemeinde setzt. Diese Community begegnet sich im digitalen wie im echten Leben und das gerne bei Aktivitäten, die mit dem Thema Auto nichts zu tun haben.

Deniz David Schneller, Manager des NIO Houses in Düsseldorf, erklärt die Relevanz dieses neuen Ansatzes: „Community-Building ist immer mehr im Kommen, nicht nur in der Automobilbranche. Eine Marken-Community aufzubauen bedeutet mehr, als einen Kundenstamm anzulegen. Und Community-Building macht NIO par excellence, da sind wir wirklich Vorreiter.“

Dieser Anspruch wird mit einigen Mitteln verfolgt. Es beginnt damit, dass zum Beispiel das NIO House in Düsseldorf mitten in der Fußgängerzone liegt. Was paradox wirkt, gehört zu einer Strategie: Diese große Investition in solche zentralen, teuren Flächen leiste man sich, so Schneller, damit man gut für alle potenziellen Kundinnen und Kunden erreichbar sei. „Und natürlich ist das Ziel auch gesehen zu werden, um eine gewisse Brand Awareness zu kreieren.“

Die Brand Awareness wird mit vielen Mitteln verfolgt, durchaus auf Umwegen. Im NIO House laden ein Café mit Sitzgelegenheiten und eine Sofaecke zum Verweilen ein. Einige Leute setzen sich mit ihrem Laptop an den Tisch und arbeiten, während sie sich durch die Getränkeauswahl probieren. Coworking-Räume können gemietet werden, es gibt ein Spielzimmer für Kinder – dass in der unteren Etage Autos stehen, vergisst man zwischendurch fast.

Auf die Frage, ob es Leuten nicht übelgenommen werde, wenn sie monatelang täglich ein- und ausgehen, ohne sich jemals für einen Autokauf zu interessieren, versichert er: „Das wollen wir! So funktioniert Community-Aufbau. Unsere Gäste erzählen dann ihren Freunden, dass sie zum Arbeiten im NIO House waren, dass es da eine Coworking-Lounge und ein Café gibt. Wir haben Stammgäste, die kommen mindestens zweimal die Woche und bringen immer mehr Leute mit.“

Wenn die Leute sich bei einem Latte Macchiato kennenlernen, miteinander Schachspielen, die Kinder im Spielzimmer toben, dann ist das erreicht, was der NIO-Gründer William Li kreieren wollte, erzählt Schneller: eine Wohlfühlatmosphäre für alle. „Wir haben vor einem halben Jahr hier eröffnet,“ berichtet er, „mittlerweile gehen durschnittlich 2000 Leute pro Woche hier ein und aus.“

Ein zentraler Bestandteil dieser Strategie sind Veranstaltungen. „Wir sind Gastgeber für 30 Events im NIO House in Düsseldorf pro Monat! Und wenn der Februar nur 28 Tage hat, dann veranstalten wir trotzdem 30 Events.“ Die Bandbreite der Veranstaltungen reicht von Barista-Kursen über Art-Workshops bis zu Yoga- oder Box-Fit-Kursen. Hinzu kommen Branchen- oder Musikveranstaltungen.

„Genau so schafft man nicht nur einen Community-Gedanken, sondern baut sich wirklich organisch eine Gemeinschaft auf,“ erklärt Schneller. „Damit gewinnt man eine Fanbase und erhält Vertrauen in die Marke.“

Von den Events und den neuesten Lifestyle-Produkten erfahren User über die NIO-App. Hier können sie auch E-Ladestationen finden, Räume in NIO Houses buchen, Treuepunkte sammeln und damit ihre Getränke bezahlen. Natürlich können sich die User auch über die Autos austauschen, Bewertungen hinterlassen und von ihren Fahrerlebnissen erzählen. Der interaktive Teil der App ist aufgebaut wie ein Social-Media-Kanal: Man kann Posts teilen, liken und kommentieren.

Diese Fokussierung auf die User setzt sich übrigens auch in den Autos fort. „Nomi“ ist als KI-basierter Assistent in den NIO-Autos verbaut. Die Version „Nomi Mate 2.0“ besitzt ein rundes Display, dessen „Augen“ sich der Person im Auto zuwenden, mit der der Assistent gerade interagiert. Per Spracherkennung können Insassen beispielsweise die Temperatur regeln oder ein Selfie aufnehmen lassen. NOMI lernt auch die Vorlieben der Autobesitzerin oder des -besitzers kennen und kann Sitz- und Lenkradposition entsprechend einstellen.

Es gibt viele Pioniere, die im Einzelhandel neue Wege betreten und die Grenzen klassischer Verkaufskonzepte ausloten. Die Weiterentwicklung von Technologien, aber vor allem auch Kreativität im Umgang mit der potenziellen Kundschaft treiben diesen Trend an. Der Autohandel ist definitiv ein Markt, den man im Auge behalten sollte.