Wertvolle Learnings aus der Entwicklung und dem Einsatz von Technologien im Einzelhandel

von Julia Pott

Fortschritt ist ohne den einen oder anderen Schritt, der daneben geht, nicht denkbar. Umso wichtiger ist der offene Austausch über Wege und Abwege im Streben nach Erfolg. Eine solche Kommunikationsplattform für die Einzelhandelsbranche boten zum wiederholten Mal die EHI Technologie Tage in Bonn am 5. und 6. November 2024.

Führende Handelsunternehmen und Innovatoren teilten ihre Erfahrungen mit der Entwicklung von Technologien und gaben so wertvolle Tipps weiter. Vier dieser Einblicke von Fressnapf, Edeka Jäger, Colruyt und MediaMarktSaturn haben wir zusammengefasst.

Ein umfassendes Omnichannel-Ökosystem, das eCommerce, digitale Services, mobile Beratung durch Mitarbeitende, mobile POS, CRM, Social Media und Content Management umfasst – dieser Traum eint wahrscheinlich viele Händler. Randy John, Vice President Product Development Digital Store Solution von Fressnapf, skizzierte dieses ambitionierte Ziel und welche Maßnahmen das Handelsunternehmen für Tierbedarf- und nahrung dafür unternommen hat. John gestand aber auch ein, dass es dabei durchaus Rückschläge zu verzeichnen gab, beispielsweise die Insolvenz des POS-Systemanbieters Enfore. Die Erfahrung habe zudem gezeigt, dass man sich auf gewisse Bereiche konzentrieren müsse und nicht alles gleichzeitig umsetzen könne.

Learnings: Randy John betonte, dass es sehr geholfen habe, technologische und wirtschaftliche Unternehmenseinheiten zu bündeln: So hätten alle Projektleitenden ein duales Führungsteam aus dem IT- und aus dem Business-Bereich, um technologische und wirtschaftliche Belange zusammenzuführen. Auch im Hinblick auf strategische Fragen und das Recruiting wichtiger Positionen setze man auf eine gemeinsame Abstimmung.

John versicherte, Fressnapf bleibe optimistisch und suche weiterhin nach einer umfassenden Lösung, die alle Aspekte ihres Geschäfts nahtlos integriere. Er zeigte sich überzeugt: Es sei wichtig, Risiken einzugehen und daraus kontinuierlich zu lernen, um sich im Wettbewerb hervorzuheben.

Den Anstoß für den personalfreien 24/7-Store von Edeka Jäger am Flughafen Stuttgart lieferte die Beobachtung, dass nach Ladenschluss Passantinnen und Passanten vor dem Laden standen, die gerne noch etwas kaufen würden. So stellte sich für den Inhaber Florian Jäger die Frage: „Wie können wir Kundinnen und Kunden rund um die Uhr bedienen?“ Die Lösung: ein 24/7-Shopkonzept von Wanzl. Bei einer Gesamtinvestition von rund 300.000 € und monatlichen Kosten von 3.000 € hatte sich das Projekt nach Angaben von Jäger nach etwas über zwei Jahren amortisiert, wobei die vorhandene Flughafeninfrastruktur mithalf. Jäger freue sich nicht nur über die gute Funktionalität des Smart Stores und den wirtschaftlichen Erfolg. Er betonte auch: „Aus dem ganzen Entwicklungsprozess haben wir viele Learnings mitgenommen, die nicht nur für den personallosen Nachtbetrieb wichtig sind, sondern uns für alle Märkte auch tagsüber helfen.“

Learnings: Die User Experience der Selbstbedienungskassen wurde so einfach und klar wie möglich gestaltet, um nachts auch ohne Eingriffe des Personals einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten: Die Kundinnen und Kunden scannen ihre Produkte, bestätigen den Warenkorb mit einem Klick und bezahlen mit Karte. Auf weitere Abfragen oder Loyalty-Hinweise wird verzichtet. Dies erhöhte die Effizienz und führte zu einem Umsatzanteil von 38 % bei den SB-Kassen auch während des Tagbetriebs. So haben Mitarbeitende tagsüber mehr Zeit für andere Aufgaben. Falle doch eine Störung an, so können Mitarbeitende diese per Tablet oder Smartphone von der gegenüberliegenden Infokasse aus beheben. Auch die Positionierung der Obst- und-Gemüse-Waage mit Produkterkennung in der Frischeabteilung statt im Bereich der SB-Kasse führt nachts wie tagsüber dazu, dass Probleme beim Wiegen nicht den Self-Checkout-Betrieb aufhalten.

Kundinnen und Kunden wollen zukünftig gerne entscheiden, ob sie beim Checkout im Laden bedient werden möchten oder ob sie Self-Checkout-Optionen nutzen möchten. Daher sei es wichtig, beide Lösungen anzubieten. Dieser Überzeugung sei die Colruyt Group, erklärte der Abteilungsleiter New Commercial Development Geert Elen. Die Colruyt Group entwickele daher selbst mehrere Checkout-Lösungen im hauseigenen Testlabor für neue Technologien – und das prozessorientiert.

Eine dieser Lösungen seien Computer-Vision-gestützte bediente Kassen, erzählte Elen. Colruyts Erfahrung: Ein komplett auf Produkterkennung basierendes System garantiere bisher keine korrekte Warenkorberfassung, während gleichzeitig die Barcodes das Ende ihrer Lebenszeit erreichen würden. Colruyt setze daher auf eine Zwischenlösung: Ein über der Kasse angebrachtes Computer-Vision-System mit Kameras, das Barcodes erkenne. Der Checkout-Prozess an der Kasse sei so um 10 % schneller geworden, das System werde nun nach einer einjährigen Pilotphase ausgerollt.

Learnings: Die Herausforderung, aber auch ein Vorteil im Innovationsprozess ist laut Geert Elen, dass man das Gewerbe gleichzeitig betreiben und verändern müsse. Man versuche also, Arbeitsprozesse jeden Tag ein wenig zu verbessern. Und Elen gab noch einen weiteren Tipp: Wenn es um die Zukunft gehe, würden Unternehmer zu viel ins Denken und zu wenig ins Tun investieren. Sein Motto: „Dream big, but start small.“ Man könne zwar groß träumen, sollte aber zügig und konkret mit kleinen Veränderungen anfangen.

Henny Steiniger, VP Services & Solutions, und Stephan Lange, Managing Director, sprachen auf den EHI Technologie Tagen darüber, wie MediaMarktSaturn generative KI in die Unternehmensprozesse eingeführt hat. Zahlreiche Mitarbeitende aus allen möglichen Unternehmensbereichen sollen durch KI-Anwendungen in ihrer täglichen Arbeit unterstützt werden. Statt sich einzelne Lösungen einzukaufen, sei schnell die Entscheidung gefallen, sich als MediaMarktSaturn Gruppe ein eigenes KI-Framework und damit eine eigene Kompetenz aufzubauen. MediaMarktSaturn habe daher eine Plattform mit einer Standardarchitektur entworfen, auf deren Basis neue KI-Modelle für neue Use Cases entwickelt werden können. Zu den Anwendungsbereichen zählen Spracherkennung und Chatbots, digitale Beratungsassistenten, Bildgenerierung, SEO-Tools, Code-Generierung und viele weitere.

Learnings: Bei der Einführung neuer Tools gelte es, die Skepsis und Scheu einiger Mitarbeitenden zu überwinden, erklärte Steiniger, und alle, egal auf welchem Technologiekompetenz-Level sie sich befinden, abzuholen und bei der Entwicklung mitzunehmen. Dafür sei eine Wissensbibliothek entwickelt und bereitgestellt worden, die niedrigschwellig, angefangen bei absoluten Basics zu KI bis hin zu Expertenthemen, Informationen bereitstelle.

Ebenfalls über alle Einstiegslevel hinweg, von Anfänger- bis Expertenkursen, würden freiwillige Tech-Trainings für Mitarbeitende angeboten. Steiniger betonte: „Die Tür ist immer weit auf, Mitarbeitende können jederzeit einsteigen und Fragen stellen, egal auf welchem Level.“ Ganz praktisch können die selbst entwickelten KI-Anwendungen dann im internen, sicheren Umfeld getestet werden. Um nicht nur Neugierige, sondern auch Zögerliche zu motivieren, riet Steiniger zu einer intensiven internen Kommunikation über das Thema KI: „In diesem Fall können Sie nicht zu viel darüber sprechen.“